Mittwoch, 16. September 2009

Hier im alten Indianerland nennt man das ein Herrenfahrrad

Einer der gefährlichsten Ohrwürmer ist „Septemberwind“ von Joe Dassin aus dem Jahr 1975 und dazu einer der lustigsten Schlager überhaupt. Etwa hier. Das „La-lala, lalala la la-lala, lalalalalaa la la lalalala” des Hintergrundchors ist im Hirn extrem schwer löschbar, allenfalls hilft es, 2-3 Bier zu trinken oder eine Piccolo. Aus dem Text:
„Weißt du noch wie es war voriges Jahr im Septemberwind?
Nie war ich so glücklich wie an diesem Morgen am Strand
Es war Herbst - und hier im alten Indianerland
Da nennt man das "Indian Summer".
Und du mit deiner sonnenbraunen Haut in deinem weißen Kleid
Sahst aus wie ein Aquarell von Marie Laurencin
Wie lange ist das her?
Ein Jahr... Hundert Jahre... Oder eine ganze Ewigkeit?“

So so, wie ein Aquarell von Marie Laurencin. Wie das aussieht, kann man hier sehen oder auch hier. Übrigens hat Howard Carpendale eine Coverversion eingesungen. Da hierzulande wohl zu wenige die gute Marie Laurencin und ihre Aquarelle kennen, singt Howard Carpendale nun:

„Und du mit deiner sonnenbraunen Haut in deinem weißen Kleid
Du sahst aus wie auf einem Foto von David Hamilton.“

Das ist aber, ehrlich gesagt,was völlig anderes. Das wäre genauso, als würde es in einem Originallied heißen „she looks like Amy Winehouse“ und dann übersetzen „sie sieht aus wie Veronica Ferres“.

(Kurze Pause für das jüngere Publikum, um David Hamilton zu fotogoogeln. La-lala, lalala la la-lala, lalalalalaa la la lalalala)

Wo ich das jetzt selber sehe: eine dieser Fotografien hat auf mich als sehr junger Mann einen großen Eindruck hinterlassen. Das war im Jugendzimmer meiner älteren Cousine Bärbel. Diese Verwandtschaft wohnte weit entfernt und deshalb besuchten wir sie nur selten. Gelangweilt hockte ich im Jugendzimmer der noch mehr gelangweilten Bärbel. Sie hatte ihre Clogs ausgezogen, so daß ich ihre Löcher in den Socken sah, auf dem Nachttisch lag ein dickes Buch mit dem Titel „Papillon“ und an der Wand hing dieses Poster. Natürlich hätte ich mir gewünscht, daß meine Cousinen genau so ausgesehen hätten und nicht wie die dicke Bärbel (ehrlich gesagt ging sie eher in die Richtung eines späten Aquarells von Marie Laurencin), aber was hat man schon von hübschen Cousinen? Eigentlich auch gar nichts. So betrachtete ich verstohlen das Poster. Für wen hatte das Fahrradmädchen wohl die Blumen gepflückt? Ich vermutete, daß sie dem Mädchen ohne Hut auf dem Rückweg begegnet war und die beiden sich jetzt einfach mal ein bißchen unterhalten, wie das Mädchen so machen. Alles Wichtige haben sie sich schon erzählt, und jetzt stehen sie einfach nur so schön rum, wie Mädchen das so können. Am meisten beeindruckte mich, daß das Mädchen mit dem Hut praktisch auf der Stange des Fahrrads saß. Auf der Mittelstange eines Herrenfahrrads! Vielleicht sind alle unsere ästhetischen Prägungen kontingent und hängen davon ab, was wir in einem ganz bestimmten, aber zufälligen Moment sehen, den wir noch nicht einmal selbst aussuchen können. Für mich war die Haltung des Mäddchens, halb auf dem Sattel, halb auf der Stange eines Herrenfahrrads, eine Geste ungeheurer Eleganz. Dann legte Bärbel eine andere Platte auf, wahrscheinlich Mona Bone Jakon.
Bis heute finde ich, daß bestimmte Fahrräder zu Frauen gut aussehen oder auch ihnen nicht stehen, als wären sie ein Accesoire wie ein Haarreif oder ein Armband. Eine Frau mit Fahrrad, das wäre dann ein optischer Ohrwurm, den man dann Augenwurm nennen müßte.

La-lala, lalala la la-lala, lalalalalaa la la lalalala.

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