Die Rognitzstraße ist eine kurze, leicht zu
übersehende Straße am Berliner Funkturm. Sie wird vom achtspurigen
Kaiserdamm in der Mitte zerschnitten, so daß von ihrem südlichen Teil
kaum mehr ein 100m langer Stummel zwischen S-Bahn-Trasse, Autobahn und
einer Brache zum Messedamm übrig bleibt. Sie ist zwar von vielbefahrenen
Straßen umgeben, aber sie selbst ist seltsam verlassen und abgelegen.
Als Vorbeifahrender übersieht man sie oder hält sie für eine
Grundstückseinfahrt. An der östlichen Straßenseite verläuft ein Geländer
zur S-Bahn-Trasse und Stadtautobahn, die hier den Kaiserdamm
unterqueren. Es ist laut. Die einzigen Passanten hasten von der
S-Bahn-Station Messe-Nord zum Finanzamt. Sie laufen an einem hellblauen
Gebäude vorüber, das die Telekom vor einigen Jahren aufgegeben hat.
Vorher war hier dort eine unwichtige Abteilung von T-Systems
untergebracht, aber selbst denen war es hier zu sehr Sibirien. Die
Rolläden im Erdgeschoß sind heruntergelassen. An der Südseite sind
einige lustlose Graffiti.
Und doch ist es ein ganz bemerkenswerter Ort. Genau hier, an dieser
Stelle, wurde das Fernsehen erfunden. Das Gebäude gehörte früher der
Deutschen Reichspost, uns hier war das Fernsehlaboratium, in dem ab Ende
der Zwanzigerjahre die technischen Grundlagen des Fernsehens gelegt
wurden, und zwar als weltweite Pioniere. Hier, genau hier hat alles
angefangen, von Peter Frankenfeld über das Laufende Band bis Denver
Clan, den Simpsons und den Gilmore Girls.
Eine interessante Frage ist, was denn so ganz im Anfang gezeigt wurde.
Vielleicht erinnert sich noch jemand an den Film „Contact“ mit Jodie
Foster. Die Außerirdischen von der Wega senden die ersten Fernsehsignale
zurück, die sie von der Erde empfangen haben. Es handelt um Hitlers
Eröffnungsrede von den Olympischen Spielen. Das ist natürlich Blödsinn,
aber weiß man überhaupt noch, wer die ersten Personen waren, die jemals
im Fernsehen zu sehen waren?
Man weiß es. Sie hießen Imogen Orkutt und Schura von Finkelstein.
Ab 1929 gab es Versuchssendungen der Reichspost, bei denen tonlose
Testbilder übertragen wurden. Allerdings waren es keine starren
geometrischen Testbilder, sondern immer wieder täglich derselbe einzige
Film. Es war ein Versuchsfilm mit den zwei Mädchen, den man im
vorangegangenen Jahr am Wannsee gedreht hatte. Diese beiden Mädchen
waren die ersten Menschen, die als Fernsehbild übertragen wurden. Zwei
Mädchen in Badeanzügen singen ein Lied (es ist übrigens „Horch was kommt
von draußen rein“) und lachen sich an. Das war der Anfang vom
Fernsehen.
Dazu kurz zu den technischen Grundlagen: Fernsehen unterscheidet sich
grundlegend vom Kino. Beim (analogen) Kino wird einfach das belichtete,
transparente Zelluloid durchleuchtet und damit erscheint ein Bild auf
der Leinwand. Beim Fernsehen ist das nicht möglich, denn man würde ja
für jeden Bildpunkt (Pixel) einen eigenen Übertragungskanal verbrauchen.
Also wird das Bild einfach gerastert und zeilenweise ausgelesen: ein
Fernsehbild wird nicht in einem Stück übertragen, sondern es wird
abgetastet. Das gilt im wörtlichen Sinne für die ersten
Fernsehansagerinnen, die in winzigen Kabinen saßen und sich von der
Fernsehkamera abstrahlen lassen mußten. Um nun nicht immer nur live
senden zu müssen, griff man zu einem Trick, um Filme übertragen zu
können: man legte den Film in einen sog. Linsenkranzabtaster, der den
Zelluloidfilm ableuchtete und zu einem Fernsehbild rasterte. So war es
möglich, daß der Film mit den Mädchen dauernd wiederholt ausgestrahlt
werden konnte.
Links Imogen Orkutt, rechts Schura von Finkelstein |
Die ersten Fensehzuschauer waren mehr oder weniger interessierte Amateure mit winzig kleinen Bildschirmen. In der Anfangszeit waren die Gesichter mehr oder weniger vermatschte Flecken, aber mit zunehmender Auflösung stieg auch die Bildqualität. Irgendwann konnte man sogar den Leberfleck auf Schura von Finkelsteins Gesicht entdecken. Es gab auch damals schon Fernseh-Zeitschriften, allerdings völlig anders als heute: die Fernsehtechnik-Amateure tauschten sich dort aus, bei welchem Wetter, mit welcher Antenne und an welcher Stelle sie Imogen und Schura am besten empfangen hatten.
Einige Jahre später war die Technik dann so weit entwickelt, daß man
während der Olympischen Spiele ein Live-Programm in öffentlichen
Fernsehstuben zeigen konnte. So ist es nicht ohne Ironie, daß ganz am
Anfang des Fernsehens ein Konzept sehr wichtig war, das erst viel später
richtig erfolgreich wurde: das Public Viewing. 1936 in den
Fernsehstuben der Reichspost und 2006 auf der WM-Fanmeile. Und schon ab
1937 übertrag man erste Fernsehshows. Wer weiß – vielleicht findet man
noch irgendwo eine Aufzeichnung von Wer wird Millionär? in Reichsmark.
So läuft das Fernsehgeschäft: Frischluft von oben rechts (Quelle: Lipfer, Fernsehen, 1938) |
Aber zurück zu den beiden Fernsehmädchen: die beiden haben für die Aufnahmen je 25 Mark bekommen. Imogen arbeitete als Verkäuferin von Kinderkleidung, schauspielerte ein wenig und heiratete 1931 den Chirurg Georg Cohn. 1939 flohen sie nach Palästina. Sie ist sogar später nach Deutschland zurückgekehrt. Bis 1990 hatte sie einen kleinen Tabakladen in München, direkt neben dem Arri-Kino in der Türkenstraße. Damit ist die Wahrscheinlichkeit extrem hoch, daß die erste Frau im Fernsehen mir irgendwann einmal ein Schachtel Zigaretten verkauft hat. Wahrscheinlich eine P&S. Im Jahr 2000 ist sie mit 93 Jahren gestorben.
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