1. Im November 1980 wurde der „Krefelder
Appell“ veröffentlicht, der als Gründungsdokument der Neuen
Friedensbewegung gilt. Die Hauptforderung des Appells, der in den
nächsten Jahren millionenfach unterschrieben wurde, war der Verzicht auf
die Stationierung von Pershing II und Cruise Missiles, die gemäß
Nato-Doppelbeschluß 1983 stationiert werden sollten. Man hatte also drei
Jahre Zeit zum Dagegensein. Dreißig Jahre später erscheint das alles
etwas angestaubt und komisch. Unglaublich aber, wie selbstgewiß die
Friedensbewegung damals auftrat. Ein Einverständnis mit ihren Zielen
versprach moralische Überlegenheit, das Dagegensein war sozusagen
kriminell und faschistisch. Frieden schaffen ohne Waffen, das war in den
Schulen und Universitäten Anfang der 80er Jahre der Mainstream.
Haben viel zu schwere Flügel und ihre Schnäbel sind längst leer
2. Die prä-digitale Kopierer- und Ausschneide-Ästhetik der Flugblätter
und Schriften ist heute allenfalls seltsam. Ebenso die appellative
Grundhaltung aller dieser Schriften: man muß dagegen sein, protestieren,
sich wehren, aufstehen etc. Es wurde gegangen, gelaufen, gekocht,
gebacken, geschwiegen, gepfiffen und so weiter für den Frieden. Vor
allem auch ostermarschiert. Es schien fast greifbar, an eine Umwidmung
von Ostern zu denken, vom Auferstehungsfest zum Friedensfest, wobei für
viele christlich gefärbte Bewegte das auch das gleiche war. Und für den
Frieden war auch immer gegen Schmidt, gegen Kohl und vor allem gegen
Reagan. Nachrüstung, Doppelbeschluss, Nulllösung wurden allgemein
geläufige Begriffe, die heute allenfalls nostalgisch schimmern, ohne
dass man genau wüßte, was eigentlich dahintersteckte. Bemerkenswert war
auch, wie sehr sich die Friedensbewegung ausschließlich auf den
Nachrüstungsbeschluß kaprizierte: gewiß war man gegen alle Atomwaffen im
Allgemeinen, aber man kämpfte lieber gegen die Mittelstreckenraketen im
Speziellen, als erreichbares Ziel. Allerdings auch als Ziel, das
verfehlt werden konnte.
Frau in langem Rock tritt gegen eine Bombe
3. Im November 1982 enterte ein ganz seltsames Lied die deutschen Hitparaden. Hans Hartz sang „Die weißen Tauben sind müde“.
Hartz war weder Mitglied der Friedensbewegung noch der Neuen Deutschen
Welle, sondern war irgendwie dazwischen, trat auch in der ZDF-Hitparade
an und erinnert mich bis heute vor allem an Klaus Lage (mal sehr
neutral formuliert). In den müden weißen Tauben textete er allerdings
sehr prophetisch, obwohl diese Zeilen gewiß anders gemeint sind:
Die weißen Tauben sind müde, sie fliegen lange schon nicht mehr. /
Sie haben viel zu schwere Flügel; und ihre Schnäbel sind längst leer, /
jedoch die Falken fliegen weiter, sie sind so stark wie nie vorher; /
und ihre Flügel werden breiter, und täglich kommen immer mehr, /
nur weiße Tauben fliegen nicht mehr.
Das hat sich alles auf eine merkwürdig verdrehte Weise als richtig
herausgestellt. Im Jahr 1981, als das Lied ursprünglich entstand, konnte
das Hans Hartz allerdings nicht wissen.
Weiß, mit Flügeln, aber keine Taube
4. Dann war es im November 1983 vorbei: die Kohl-Regierung beschloß
endgültig, dass die Raketen aufgestellt werden. Es gab natürlich noch
erhebliche Proteste, Demonstrationen, Ostermärsche etc., aber die Luft
war tatsächlich jetzt heraus, so ähnlich wie bei der Neuen Deutschen
Welle. Es gibt heute eine weitere Neigung, die Geschehnisse zu
verklären: gerade durch die Stationierung wurde die UdSSR gezwungen,
weiter in den Rüstungswettlauf einzusteigen, damit war sie ruiniert, und
Gorbatschow hat sie dann abgewickelt usw. usw. Aber: war das wirklich
so?
5. Das wichtigste Ereignis für den Beginn der Abrüstung und das Ende des
Kalten Kriegs hatte schon längst stattgefunden, ohne dass es jemand
bemerkt hätte. Es war das Jahr 1974, und Grigori Wassiljewitsch Romanow,
Erster Sekretär des Gebietskomitees von Leningrad und Mitglied des ZK
der KPdSU, ließ die Hochzeit seiner Tochter feiern. Nicht nur, dass er
zur Hochzeitsfeier in der Eremitage auftischte, sondern er ließ auch das
Porzellan der Zarin Katharina II. eindecken. Offenbar war es eine laute
und fröhliche Hochzeit, denn es ging einiges zu Bruch. Aber das war
zunächst nicht schlimm. Romanow machte weiter Karriere und Anfang der
Achtziger galt der extrem konservative und betonköpfige Politiker als
erster Anwärter auf den Posten des Generalsekretärs. Bis ein gewisser
Herr Gorbatschow begann, gezielt Gerüchte über die Hochzeitsfeier zu
streuen. Eremitage, die Zarin, das zerstörte Porzellan und dann noch der
unglückliche Nachname Romanow – das war alles etwas zu viel. Und 1985
mußte er sogar aus dem ZK zurücktreten. Hätte es nicht diese Feier
gegeben, wäre er wahrscheinlich Generalsekretär geworden. Er wurde
übrigens steinalt und ist erst 2008 mit 85 Jahren gestorben. Also kurz
vor der 60-Jahr-Feier der DDR.
Das Porzellan, das den Kalten Krieg entschied
6. Und damit ist die Geschichte ganz anders verlaufen, als man das sich
damals so gedacht hat. Immerhin ist dabei nur ein bißchen Porzellan
kaputt gegangen. Besser als gleich die ganze Welt.
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