Donnerstag, 19. Februar 2015

Zehn Zentimeter: 2



Jan van Eyck: Der Genter Altar, St. Bavo Gent, 1432
 


 




Jan van Eyck. Jan van Eyck war ein Außerirdischer, der Anfang des 15. Jahrhunderts auf der Erde gelandet ist. Anders ist es nicht zu erklären. Oder ein Zeitreisender. Was auch immer. Bis ins 20. Jahrhundert glaubte man, er habe die Ölmalerei erfunden. Stimmt nicht. Aber allein aus praktischen Erwägungen möchte ich jetzt glauben, daß die Belgier die wichtigsten Dinge, die man mit Öl machen kann, erfunden haben: Ölmalerei und Pommes Frites.

Jan van Eyck ist eine dieser Persönlichkeiten, die auf ihrem Gebiet ein VORHER und ein NACHHER setzen., Und die auch noch lange Zeit nachher den Diskurs bestimmen. Sigmund Freud, Albert Einstein, Franz Kafka, Jan van Eyck. Er ist entweder 1399 oder 1400 geboren, und das waren noch Zeiten, als man Schwierigkeiten hatte, einen geraden Strich zu ziehen, eine Perspektive einzubauen oder daß nicht alle Abgebildeten gleich aussehen. Es ist nicht nur frappierend, es ist atemberaubend, wie ein Jan van Eyck die Fähigkeiten seiner Zeit überstrahlt. Es sind lebendige Menschen, die er malt. Und besser kann man einen lebendigen Menschen auch heute nicht malen, auch nicht 2015.

Die Gemäldegalerie besaß den Genter Altar von 1820 bis 1920. Danach bestimmte man humorlos und weltkriegsbedingt, der Genter Altar möge dorthin, wo er eigentlich hingehört. Verständlich, aber schade. Große Museen haben ihre signature paintings. Der Louvre hat seine Mona Lisa. Die Dresdner Gemäldegalerie hat ihre Sixtinische Madonna (die in Reproduktionen großartig ist, aber im Original einfach atemberaubend). Berlin hatte lange Zeit den Mann mit dem Goldhelm von Rembrandt, aber glücklicherweise stellte sich heraus, daß er nicht von Rembrandt ist. Und nicht einmal gut ist. Der siegreiche Amor von Caravaggio wäre ein Kandidat, aber da ist ein Pimmel drauf. Oder einer der Vermeers? Der eine ist allerdings unbedeutend, der andere fast monochrom. Die Botticellis sind gut, aber nicht super. Viel Champions League in Berlin, aber kein Bayern München. Ja, wenn der Genter Altar noch in Berlin hängen würde, dann wäre die Lage klar. Andererseits vielleicht auch nicht, denn der Altar besteht aus 12 Einzelgemälden (Vorderseite).

Die einzelnen Tafeln sind in zwei Reihen angeordnet. Links steht Adam, dann kommen Engel, dann folgt eine sogenannte Deeisis (Maria/Gott/Johannes der Täufer), dann weitere Engel und Eva. In der unteren Reihe gibt es fünf Tafeln: die gerechten Richter, die Kreuzritter, die Anbetung des Lammes, die Einsiedler und die Pilger. Man kann sich das alles bis ins minikleinste Detail auf folgender Seite anschauen: http://closertovaneyck.kikirpa.be. Diese Seite ist nicht nur super, sondern supersuper. 
 
Unser Ausschnitt ist tatsächlich ungefähr zehn Zentimeter breit und hoch. Er stammt von der ersten Engeltafel oben links. Hier gibt es ein bemerkenswertes Detail: auf dem blauen Stein befindet sich auf der rechten Seite eine Spiegelung. Wenn man genau hinschaut, erkennt man, die linke Seite der Spiegelung ist etwas dunkler und oben ist ein kleiner Bogen. Es sieht so aus, als würde hier ein Kirchenfenster gespiegelt. Und das ist auch so. Van Eyck hat die Position der Tafel exakt vermessen. Die gemalte Spiegelung entspricht den tatsächlichen architektonischen Verhältnissen. Wäre der Stein echt, würde er exakt dieses Fenster spiegeln. Dieser Veweis aus dem Bild heraus erinnert mich ein wenig an die sixtinische Madonna. Jahrhundertelang rätselte man, warum das Jesuskind so entsetzt dreinschaut. Bis man darauf gekommen ist, daß am originalen Standort des Gemäldes der kleine Jesus auf eine Kreuzigung schaut. Er blickt auf seinen eigenen Tod. 
 
Also, die Belgier bekommen den Genter Altar wieder in ihre frittenfetttriefenden Finger. Und was geschieht? Im April 1934 lassen sie sich zwei Tafeln klauen. Unten links, Vorderseite und Rückseite, Die Gerechten Richter und Johannes der Täufer. Die Gerechten Richter ist ausgerechnet die Tafel, auf der vermutlich ein Selbstportrait von Jan van Eyck (der im schwarzen Gewand) zu sehen ist. Sie wollen eine Million Lösegeld vom Bischof. Der fordert einen Beweis. Und so findet sich Johannes der Täufer bald wieder in einem Schließfach wieder. Die Verhandlungen gehen weiter. Aber sie scheitern. Scotland Yard wird eingeschaltet. Keine Spur von dem Täter. Monate vergehen.
 
Dann: Auftritt Juweliers Arsene Goerdeler, gleichzeitig Abtritt. Im November 1934 erleidet er einen Herzinfarkt. Er ruft seinen Anwalt zu sich und gesteht, er wisse, wo die Gerechten Richter sind. Man würde Hinweise in seinem Aktenschrank finden, und den „Schlüssel“. Man fand Kopien der Erpresserbriefe, und allerlei Schlüssel. Und Notizen in einem Geheimcode, den Goerdeler aus einem Roman über Arsene Lupin entnommen hatte. Und das war es dann. Die Gerechten Richter blieben verschwunden. Die Sonderkommision wurde 1937 aufgelöst. Die Nazis waren auf die Altniederländer versessen. Sie hielten das Gemälde – tatsächlich – für eine verschlüsselte Botschaft zur Auffindung des Heiligen Grals. 1942 schickten sie einen Indiana Jones nach Gent, um nach den Gerechten Richtern zu fahnden. Vergeblich. 1990 baute man eine Brücke auseinander. Anfang der Neunziger gab es die verwegene Theorie, die Gerechten Richter hätten die Kirche gar nicht verlassen. Man schleuste Mikrokameras hinter die Verkleidungen. Es gibt auch die Theorie, die Tafel liege im Grab von Albert I. von Belgien, der im selben Jahr verstarb. 2002 wurde in einer Kirche, wo Goerdeler als Organist spielte, Holzverkleidungen abmontiert. Alles nutzlos.
 
Vor Jahren allerdings fand man in einem Antiquariat in Gent ein Buch mit leeren Seiten. Es hatte den Titel Die Gerechten Richter. Auf der letzten Seite war ein Satz in einem Geheimcode geschrieben, genau der Lupin-Code aus Goerdelers Unterlagen.
 
Die Umschlüsselung lautet: "Unter der Kathedrale - Kurzer Tag - Treffpunkt von Vogel und Kuh"
 
Dann mal viel Spaß beim Suchen.

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